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Kann Joe Biden sowohl die demokratische Partei als auch die gesellschaftliche, politische und ökonomische Spaltung der USA einigen?  

DR. THOMAS GREVEN

Politikwissenschaftler 

Freie Universität Berlin

"Aus meiner Sicht kann Joe Biden die Bevölkerung der USA nicht signifikant
versöhnen, weil a) die Polarisierung und gar Tribalisierung der
Gesellschaft und insbesondere der Medienlandschaft inzwischen so weit
fortgeschritten ist, dass seine Botschaften und Politik bei einem großen
Teil der Bevölkerung nicht oder nur verzerrt ankommen, und b) die

Republikaner sich für die Fortsetzung des Kurses der Spaltung entschieden
haben (d.h. mit allen Mitteln, auch der Dämonisierung des politischen
Gegners, auf die Mobilisierung ihrer weißen christlichen Basis zu setzen
und die Versuche zu verstärken, die Wahlbeteiligung anderer
Amerikaner_innen zu behindern).

Bei der Versöhnung der Demokratischen Partei bestehen m.E. etwas bessere
Aussichten für Biden, aber die Flügel der Partei werden auch weiterhin
scharf um die Ausrichtung der Politik streiten. Die beschlossenen
Krisenmaßnahmen sind vordergründig eine Bestätigung des progressiven
Flügels um Bernie Sanders, ihnen fehlt aber die Nachhaltigkeit. Diese
erfordert u.a. Änderungen der Steuergesetze, welche, wie viele andere
progressive Anliegen auch, an der Obstruktionspolitik der Republikaner,
Verfahrenshürden wie dem Filibuster, aber eben auch am Widerstand eher
moderater oder konservativer Demokraten (vor allem im Senat) scheitern

werden. In anderen Politikbereichen, insbesondere bzgl. Immigration und
sogenannter Identitätspolitik, sind die Gräben zwischen den Flügeln
mutmaßlich ebenso groß (und oft fehlen Lösungen)."

PROF. DAVID CAMPBELL

Politikwissenschaftler University of Notre Dame

"One of the challenges President Biden faces within the Democratic Party is
finding common ground among the religious and secular wings of the party.
While most people think of the Republicans as the "more religious" of the
two major parties in the US, the Democrats also have a core of religious
supporters. Indeed, Joe Biden himself speaks frequently about his Catholic
faith, and is often seen attending Mass. However, unlike the Republicans,
the Democrats also have a large and growing base of highly secular
supporters. These are people who have embraced a secular worldview and

identity. During the 2020 campaign, these two wings of the Democratic Party
were united in the common cause of defeating Donald Trump. But now that
Trump is no longer in office, you can expect to see differences emerge

between the religious and secular Democrats. Importantly, though, this does
not mean that a rift is inevitable. In the past, other Democratic
leaders--including Barack Obama--were able to build bridges between these
two factions. The key is to keep the party focused on issues on which both
groups agree."

SARAH WAGNER

Politikwissenschaftlerin

Atlantische Akademie

"Die Gesellschaft zu einen oder zu versöhnen wird schwierig für Präsident Biden, da ein bedeutender Teil der Gesellschaft und vor allem der Republikanischen Partei wenig Interesse an einer Versöhnung oder an einer Zusammenarbeit zeigt. Denn dafür bedarf es einer Verständigung über eine gemeinsame Realität, etablierte Fakten und über den aktuellen Zustand und den Wert der US-Demokratie. Ein großer Teil der Republikanischen Wähler*innen sieht Joe Biden jedoch nicht als legitimen Präsidenten an und glaubt weiterhin an die Lüge des Wahlbetrugs, das erschwert natürlich eine Zusammenführung unterschiedlicher Lager. Es wäre also erst einmal wichtig, dass sich die Menschen in den USA wieder auf bestimmte Fakten einigen können und den demokratischen Prozess als schützenswert betrachten - das erfordert eine gesamtgesellschaftliche Kraftanstrengung. Dennoch kann Biden durch seine Rhetorik, sein Auftreten, seinen Respekt für die Demokratie und ihre Institutionen sowie seine politischen Ansätze versuchen, die Lage im Land zu entschärfen. Seine Zustimmungswerte sind bisher positiv, vor allem was die Corona-Politik der Administration betrifft. Aber wenn es um die Frage geht, ob er das Land einen kann, trauen ihm das nur 48% der Amerikaner*innen zu – die Mehrheit sieht es skeptisch. 

 

Was die Demokratische Partei betrifft, wäre ich aufgrund der innerparteilichen Auseinandersetzungen weniger besorgt. Die unterschiedlichen Flügel der Partei gibt es schon seit jeher und die intensive Auseinandersetzung um Programm und Personal ist auch ein gutes Zeichen lebendiger Parteien und bei den Demokraten nichts Neues. Die Partei hat sich im Wahlkampf 2020 relativ geräuschlos hinter Joe Biden gestellt, der progressive Flügel übt jetzt natürlich im Gegenzug Druck aus und möchte seine politischen Inhalte umgesetzt sehen. Noch ist die strukturelle Macht des linken Parteiflügels aber begrenzt, die hauchdünnen Mehrheitsverhältnisse der Partei im Kongress geben moderat-konservativen Politikern wie Joe Manchin zudem zusätzliches Gewicht. Spannend wird zu beobachten sein, welcher Flügel sich in der Diskussion um das anstehende Infrastrukturpaket Gehör verschaffen kann." 

PROF. GEOFF LAYMAN

Politikwissenschaftler University of Notre Dame

"I'll start with the harder one for President Biden, which is uniting the
country.  I think it depends on what the bar for "unity" is.  Can Biden
hope to have the approval of 90% of Americans that George W. Bush had
shortly after 9/11 and the sense of unity that was felt across the U.S. at
that time?  Almost certainly not.  The country is deeply divided along
partisan lines and we're seeing increasing levels of what political
scientists call "affective polarization."  That means that, above and
beyond, any policy differences that exist between Democrats and
Republicans, there is growing hostility between supporters of the two
parties.  Partisanship has become a social identity, akin to race,
ethnicity, or religion, in the U.S. and people increasingly define
themselves through the identity of "Democrat" or "Republican," seeing
people with the opposite social identity as "the other."  This is fueled,
to some extent, by the growth of partisan media (especially on the
political right), which strives to keep people in a perpetual state of
partisan outrage.

However, if we set a lower bar than "unity" and talk perhaps about a
"working majority," that includes the 35-40% of Americans who identify
themselves as Democrats, the 10-15% of Americans who call themselves
independents but say they "lean" toward the Democrats, and the 10-15% of
Americans who simply call themselves independents (without leaning toward
either party), getting him to about 60-65% approval and support for his
administration.  Yes, I think that's doable.  Despite our high levels of
polarization, it's still the case that most Americans don't care that much
about politics.  And, the things that Biden is striving to do (bring an end
to the pandemic, reform our immigration system, do vast improvements in
American infrastructure, strengthen the Affordable Care Act (a.k.a.
Obamacare)) are broadly popular.  If he's successful in those efforts (a
BIG if given the continuing presence of the filibuster in the U.S. Senate),
then I think he can achieve a strong working base of support.

Uniting the Democratic Party is almost as difficult.  The Democratic Party
has always been more conflictual and internally divided than the
Republicans.  Some political scientists named Matthew Grossman and Daniel
Hopkins have a theory about the parties that says the Republicans are an
ideological party (centered around ideological conservatism) while the

Democrats are a party of groups.  Other theories over the years have said
similar things.  The Democrats have always been a party of competing groups
all pressing their case to be the party's priority.  So, the Democrats
don't "do" unity very well.  They fight amongst themselves.  They always
have.  But, right now, I think the Democrats are about as unified as they
can be, and they have been since at least the 2020 South Carolina primary.
I think the threat of a second Trump administration led the party to put
aside its differences and unity around Biden as the most "electable"
candidate in 2020.  They did a great job of that.  Then, the actions of
Trump and his supporters in trying to overturn the election in the weeks
and months after the 2020 election served to further unify the Democrats
around Biden.  And, finally, I think Biden has done a nice job of
positioning himself very strategically between the party's left wing and
its moderate wing.  He's moved just far enough to the left to appease the
leftists, but has not moved far enough to alienate the party's moderate
wing or the center of the American electorate."

DR. MARTIN THUNERT

Politikwissenschaftler Heidelberg Center for American Studies

"Der Kalte Krieg trug dazu bei, die USA sowohl im Inneren stärker zu einen als auch dem Westen als relativ geschlossene politische Einheit Gestalt zu geben. Generationen von Politikwissenschaftler*innen haben damals immer bedauert, dass es in den USA zu viel Konsens gebe und zu wenig  grundsätzlichen Streit.  Einigend im Inneren hatte auch gewirkt, dass der US-Kapitalismus den Unterprivilegierten durch Sozialreformen eine gewisse soziale Seite zeigen musste, da es mit der Sowjetunion eine Systemalternative gab. Nach dem Ende des Kalten Kriegs begannen sowohl die Parteien als auch nahezu alle wichtigen gesellschaftlichen Gruppen politisch-ideologisch sowie sozio-kulturell  auseinander zu driften – unterfüttert von ausgeprägter sozio-ökonomischer Ungleichheit und verschärften Identitätskonflikten zwischen erstarkenden und schwächer werdenden gesellschaftlichen Gruppierungen. Diese Trends kann keine Einzelperson, auch nicht ein US-Präsident, innerhalb von vier Jahren stoppen oder umkehren. Erschwerend kommt hinzu, dass in beiden Parteien, mittlerweile auch in Bidens eigener Partei, die tonangebende Kräfte der Auffassung sind, man könnte die machtpolitische Auseinandersetzung mit der anderen Seite gewinnen und sei daher nicht auf Kompromisse angewiesen. Die USA  - und nicht nur sie – könnten am Beginn eines sehr turbulenten Jahrzehnts stehen, sowohl was die Heftigkeit der inneren Konflikte als auch Unklarheiten über ihre Rolle in der Welt angeht."

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